Doing Gender 8102.50.3*
60 min Performance von Li Fu
Universität Innsbruck
Beschreibung und konzeptionelle Einbettung
„’Doing gender’ zielt darauf ab, Geschlecht bzw. Geschlechterzugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse in den Blick zu nehmen, in denen ‘Geschlecht’ als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird.“(*1)
Der Körper wird exponiert und in verschiedenen Schritten wird versucht die Konstruktion von Geschlecht in einzelnen Bausteinen zu zerlegen wie auch wieder herzustellen und diese somit nachvollziehbar zu machen. Da die Herstellung von Geschlecht „eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik [umfasst], welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher ‘Natur’ zu sein“ (*2), betritt die Person in einem ersten Schritt in einem Poncho den Raum. Der Schnitt des Ponchos hebt keine Körperpartien besonders hervor und versucht somit beim Gegenüber keine gezielte Konstruktion von Geschlecht zu generieren. Daher wird es möglich in einem inneren Prozess zu sehen, welche Kategorien von Geschlecht die Betrachter*innen der Performance dem Subjekt auf dem Laufsteg von vornherein zuschreiben.
Der Campus Innrain bot sich als Ort des Oszillierens zwischen Theorie und Praxis besonders für das Aufzeigen des iterativen Prozesses der Konstruktion-Dekonstruktion-Rekonstruktion-Dekonstruktion an.
Der Raum wurde in zwei Ebenen eingeteilt: dem fiktional privaten hinteren Bereich, der aus einer gläsernen Decke besteht, die Einblick in die Bibliothek gewährt; aus einer Fensterfront, die zum Spiegel umfunktioniert wird; aus Sitzgelegenheiten, die den ‘privaten Bereich’ umrahmen und damit abgrenzen, aber gleichzeitig auch als Interaktionsort mit dem Außen genutzt werden können und dem vorderen öffentlichen Bereich, in welchem das in Anthrazit gehaltene und langgezogene Gitter als Laufsteg umfunktioniert wird.

Auf der Schwelle zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich wird ein Merkmal (symbolisch dargestellt durch den Nagellack) als schmerzhafter Befreiungsakt von vorgefertigten Kategorien von Geschlecht entfernt. Dabei liegt der Nagellack wie eine zweite Haut auf dem Körper und lässt sich nur mühsam und in einem sich ständig wiederholenden Akt und in Wechselwirkung mit einem dem Körper externen Hilfsmittel (Nagellackentferner) sukzessive entfernen.
Im privaten Bereich werden dann Hilfsmittel aus dem Koffer gezielt benutzt, um ‘Männlichkeit’ herzustellen.

Haltungen werden im Spiegel geübt und gezielte Kleidungsstücke und Accessoires sollen der Konstruktion behilflich sein.
Anhand überspitzt ‘typischer’ Verhaltensweisen (aggressiv – lässiges umstoßen des Mülleimers – Handeln im sozialen Raum) wird ‘Männlichkeit’ performiert, wie auch anhand der Haltung, des Ganges, der Mimik und Gestik, das Tun, das in der sozialen Situation verankert ist und das in der virtuellen oder realen Gegenwart anderer vollzogen wird, von denen wir annehmen, dass sie sich daran orientieren“(*3), die Konstruktionselemente sichtbar werden lässt.


Im privaten Bereich setzt sich nun das Subjekt mit dem eben Hergestellten Schicht für Schicht auseinander und übt sich in ‘männlich betroffener Schweigsamkeit’.

Nun wird an das Subjekt in einer Interaktion ein alternatives Handlungs- und Zuschreibungsangebot von Außen [Performance assistance by Pippa Chase] herangetragen. Dies operiert mit sozial anerkannten Bildern, denen auch eine gewisse Zugehörigkeit und Solidarität innewohnen.

‘Frau’/ Freundin’ macht ‘Frau’/ Freundin’ die Nägel und sucht aus dem Koffer ein ‘passendes’ Kleidungsstück für sie aus.

‘Frau’ rasiert sich die Beine und cremt sich ein. Schicht um Schicht wird der performative Akt vollzogen. Die Konstruktion ‘der Weiblichkeit’ wirkt im Spiegelbild verzerrt.


Die Inszenierung von ‘der Weiblichkeit’.
Im privaten Bereich setzt sich nun das Subjekt mit dem eben Hergestellten Schicht für Schicht auseinander und übt sich im ‘weiblichen Ausbruch’ – lautes Weinen und ‘hysterisches’ Anklagen: (Wer bin ich? [im privaten Raum])

Schicht für Schicht wird ein ‘Dazwischen’ konstruiert und erhebt zum ersten Mal die Stimme im öffentlichen Raum erhoben.

„Es ist nicht ER. Es ist nicht SIE. Es gibt auch ein ‘DAZWISCHEN’. Wer das nicht checken will, soll sich einfach verpissen. Daran stört mich nicht mal die fehlende Empathie, sondern die in so vielen Ländern herrschende Transphobie.“(*4)
Vorbereitungsphase: ca. eine Stunde am Vorabend.
Text: Li Fu
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Fußnoten:
- Gildemeister 2004, S. 132
- West/Zimmermann 1987, S.14
- West/Zimmermann 1987, S.14 zitiert nach Übersetzung in Gildemeister/Wetterer 1992, S. 237 In: Gildemeister 2004, S.132
- Auszug aus einem Hip Hop Text von Li Fu
- Siehe dazu Weber 2011
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Literaturverzeichnis:
Gildemeister, Regine (2004): Doing Gender. Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung.
In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg): Handbuch Frauen und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie.
VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, S. 132-140.
Weber, Max (2011): Wissenschaft als Beruf. Duncker & Humblot: Berlin.
West, Candance/ Zimmerman, Don H. (1987): ‘Doing Gender’ zitiert nach Gildemeister, Regine/ Wetterer, Angelika (1992): Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/ Wetterer, Angelika (Hg.): Tradition Brüche. Entwicklung feministischer Theorie. Kore: Freiburg In: Gildemeister, Regine (2004): Doing Gender. Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In: Becker, Ruth/ Kortendiek, Beate (Hg): Handbuch Frauen und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, S. 132-140.
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Zur Person: Einfälle einer* Dilettant*in (*5)
Li Fu interessiert sich für das Politische im Alltäglichen und gesellschaftliche Entwicklungstendenzen der Gegenwart. Besonders die Konstruktion des Alltags und die Betrachtung der Bausteine, anhand welchen Wirklichkeiten konstruiert werden, liegen hierbei im Fokus. In D.I.Y. -Manier wird anhand unterschiedlicher Performances der Versuch unternommen theoretische Konzepte in den Alltag zu überführen.
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Edited and first published by Tanja Ostojic on the “Misplaced Women?” Blog 2018/19
This Performance has been released in the frame of: “Misplaced Women?” Workshop by Tanja Ostojic, May 2018, Art in Public Space Tyrol /Kunst in Öffentlichen Raum Tirol, Austria.
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Please visit as well other contributions and posts from the same workshops:
Review by Tanja Ostojic: Misplaced Women? @ Art-In-Public-Space Tyrol, Innsbruck
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